Von Thomas Molke / Fotos © Friedrich Luchterhandt
Minden in Ostwestfalen kann nun wirklich nicht als Opernmetropole bezeichnet werden. So verfügt das kleine Stadttheater über kein eigenes Ensemble. Umso erstaunlicher ist es, dass hier dank des unermüdlichen Einsatzes des ansässigen Richard Wagner Verbandes und seiner Vorsitzenden Dr. Jutta Hering-Winckler mit zahlreichen Sponsoren und Kontakten zu Künstlerkreisen eine „Wagner-Tradition“ etabliert worden ist, die mit der Aufführung des kompletten Ring-Zyklus über einen Zeitraum von vier Jahren einen neuen Höhepunkt erreicht hat. Nachdem in den letzten beiden Jahren der Vorabend Das Rheingold (siehe auch unsere Rezension) und der „Erste Tag“ Die Walküre (siehe auch unsere Rezension) szenisch und musikalisch vor allem die Herzen der Wagner-Puristen höher schlagen ließ, steht nun Siegfried auf dem Programm, der Teil der Tetralogie, der im Gegensatz zu den anderen Teilen am seltensten außerhalb eines kompletten Zyklus aufgeführt wird, obwohl Wagner ursprünglich gehofft hatte, dass dieses Werk als populärstes Ring-Stück am ehesten ein Eigenleben führen werde. Stattdessen nimmt es mit seinen zahlreichen märchenhaften und teilweise recht komischen Elementen die Funktion eines Intermezzos zwischen den beiden weitaus dramatischeren Teilen Die Walküre und Götterdämmerung ein. Die Eintrittspreise mögen dem einen oder anderen für Mindener Verhältnisse relativ hoch erscheinen. Dafür bekommt man aber auch musikalisch Hochkarätiges geboten und braucht sich nicht über alberne Regie-Mätzchen zu ärgern.
Wie in den beiden vorangegangenen Teilen befindet sich das Orchester auf der Bühne hinter den Solisten. So wird wieder eine hervorragende Textverständlichkeit erreicht, die die fehlenden Übertitel nicht vermissen lässt. Wie in den Vorjahren ist die Bühne von Frank Philipp Schlößmann von einem riesigen roten Ring eingerahmt, der als Thema über der ganzen Produktion steht. Die zahlreichen verworrenen Fäden, die auf dem Bühnenboden und im Inneren des Ringes zu erkennen sind, lassen sich als Schicksalsfäden der Nornen interpretieren, die zu diesem Zeitpunkt im Ring noch nicht gerissen sind und letztendlich den Verlauf der Geschichte bestimmen. Die Videoeinspielungen von Matthias Lippert, die während des Vorspiels und der einzelnen Akte auf den Gaze-Vorhang zwischen Solisten und Orchester geworfen werden, sind zwar nett anzusehen. Ihr tieferer Sinn erschließt sich allerdings nicht immer. Soll das Spinnennetz in Mimes Schmiede im ersten Aufzug andeuten, dass Mime sich mit seinem Plan, Siegfried zum Gewinn des Rings zu instrumentalisieren, in einem Netz verfangen hat? Die Kostüme, für die Schlößmann ebenfalls verantwortlich zeigt, verlegen die Handlung in die Zeit der Entstehung der Oper. Der Schmiedeofen mit dem riesigen Blasebalg, der auf der rechten Seite im Rang aufgebaut ist und der von Siegfried beim Schmieden des Schwertes eindrucksvoll betätigt wird, trägt ebenso märchenhafte Züge, wie der Amboss in der Mitte der Bühne, den Siegfried am Ende des ersten Aufzugs mit dem neu geschmiedeten Schwert Nothung zerschlägt.
Großartig geling die Szene zwischen Mime und dem Wanderer im ersten Aufzug. Gerd Heinz macht in der Personenregie deutlich, dass der Wanderer eindringlich versucht, Mime auf die richtige Frage zu bringen, nämlich wie das Schwert Nothung neu zu schmieden ist. So lässt er den Wanderer bei Mimes Fragen immer wieder nach den Schwertstücken greifen. Auch im weiteren Verlauf verfolgt Heinz den Ansatz, dass Siegfried sein Schwert nicht ohne göttliche Unterstützung neu schmieden kann. So sieht man den Wanderer als Schatten im Hintergrund agieren, während Siegfried das Schwert neu zusammensetzt. Die Schläge auf den neu gegossenen Stahl führt nicht Siegfried selbst aus, sondern der Wanderer schlägt dazu mit seinem Speer. Das wirkt auf den ersten Blick ein wenig befremdlich, da Siegfried in diesen Momenten zu einer ungewohnten Passivität verdammt wird, mag jedoch vielleicht ein Indiz dafür sein, dass Siegfried am Ende der Götterdämmerung als Held scheitert. Dan Karlström gestaltet den Mime mit kräftigen Höhen und großer Textverständlichkeit. Renatus Mészár begeistert als Wanderer mit markant strömendem Bariton, der dem Göttervater gewaltige Autorität in der Auseinandersetzung mit dem Zwerg verleiht. Thomas Mohr legt die Schmiedeszene sehr lyrisch an, was vielleicht daran liegt, wie man vor Beginn des dritten Aufzuges von Frank Beermann erfährt, dass Mohr noch gegen eine Erkältung ankämpft, die ihn bei einer so anspruchsvollen Partie wie dem Siegfried über Gebühr fordert. Umso höher ist es ihm anzurechnen, mit wie viel Disziplin er den ersten Aufzug stimmgewaltig meistert.
Auch für den zweiten Aufzug hat sich Heinz in der Personenregie etwas Besonderes einfallen lassen. Alberich führt seinen Sohn Hagen zur Neidhöhle. So wird nachvollziehbar, wieso Hagen in der Götterdämmerung über die Geschehnisse bestens informiert ist und wie sehr er von seinem Vater manipuliert worden ist. Oliver Zwarg begeistert als Nachtalbe mit dunklem Bass, der die Wut und den Hass des beraubten Nibelungen wunderbar zum Ausdruck bringt. Mit Mészár gelingt ihm dabei ebenso ein grandioser Schlagabtausch wie kurz darauf mit Karlström, wenn die beiden Nibelungen um den Schatz streiten. Den Riesenwurm Fafner lässt Heinz mit Statisten vom Ratsgymnasium Minden auftreten, die auf ihren schwarzen Kostümen eine rudimentäre Leuchtschrift tragen, die auf der dunklen Bühne im Kampf nur das Maul des Drachen und den Schwanz hervorheben, so dass man Ausmaße des Drachen nur erahnen kann. Wenn Siegfried den Riesenwurm mit dem Schwert tötet, geht das Licht auf der Bühne wieder an, und Fafner erscheint in Menschengestalt. James Moellenhoff begeistert als Fafner wie schon im Rheingold mit profunder Tiefe. Großartig wird auch der Waldvogel in Szene gesetzt. Julia Bauer erinnert mit ihren leicht abgehackten Bewegungen und ihrer Feder auf dem Kopf an ein leicht hektisches Vögelchen, das für einiges Schmunzeln im Publikum sorgt. Dabei punktet sie mit strahlendem Sopran und einer großen Textverständlichkeit. Karlström begeistert dann noch einmal als Mime, wenn er plant, seinen Ziehsohn Siegfried umzubringen, mit glänzender Stimmführung. Mohr spielt die komischen Momente vor allem im Zusammenspiel mit dem Waldvogel ebenfalls großartig aus.
Nach diesem märchenhaften zweiten Aufzug lässt Frank Beermann die Nordwestfälische Symphonie im dritten Aufzug wild aufspielen und mit peitschender Aggression Erda aus ihrem Schlaf reißen. Diese taucht in schwarzem Gewand aus dem überbauten Orchestergraben auf. Wieso sie von vier jungen Frauen begleitet wird, wird nicht klar. Für die Nornen ist es eine Begleiterin zu viel. Janina Baechle stattet die Urwala mit dunklem Alt aus und begeistert im Zusammenspiel mit Mészár, der auch im Anschluss in der Szene mit Siegfried stimmlich und darstellerisch noch einmal glänzen kann. Auch auf das fehlende Auge wird in Heinz‘ Inszenierung nicht verzichtet. Große Tragik entwickelt Mészár, nachdem Siegfried mit dem Schwert seinen Speer zertrümmert hat, und er sich nun mit den Resten des Speers als Krücken von der Bühne schleppt. Mohr zeigt sich als Siegfried von diesem Schicksal unberührt und steigt die rote Wendeltreppe auf der linken Seite der Bühne zum Walkürenfelsen empor. Eindringlich vollzieht Beermann mit der Nordwestfälischen Symphonie den musikalischen Wechsel zur schlafenden Maid und arbeitet die „Seelige Öde auf wonniger Höh“ absolut lautmalerisch heraus. Erst jetzt merkt man, dass Mohr nach knapp fünf Stunden allmählich die stimmlichen Kräfte schwinden, und man ist dankbar, dass er sich hat ansagen lassen. So fällt der Applaus für ihn am Ende umso größer aus, da er den Abend dennoch zu einem guten Ende bringt.
Dara Hobbs meistert die anspruchsvolle Partie der Brünnhilde mit dramatischen Höhen und großer Durchschlagskraft, unter der jedoch bisweilen die Textverständlichkeit leidet. Dass sie sich am Ende so kämpferisch zeigt, wenn sie doch eigentlich Siegfrieds Werben erliegt, erschließt sich nicht wirklich, stört allerdings auch nicht weiter, so dass das Publikum nach „Leuchtende Liebe, lachender Tod“ in frenetischen Jubel für alle Beteiligten ausbricht. Zwar stellt sich bei der B-Premiere das Regie-Team nicht erneut dem Publikum, wäre aber wahrscheinlich ebenfalls mit zahlreichen Bravorufen bedacht worden.
FAZIT
Wie die beiden ersten Teile, ist auch Siegfried szenisch und musikalisch ein ganz großer Wurf. Wagner-Puristen sollten sich diese Produktion nicht entgehen lassen. (Weitere Termine: 15. und 21. September 2017 um 17.00 Uhr und 17. und 24. September 2017 um 16.00 Uhr)
http://www.omm.de/veranstaltungen/musiktheater20172018/MI-siegfried.html