Mindener Eigenproduktion beim Theatertreffen der Jugend – Jury wählte von 110 Bewerbungen acht Siegergruppen aus
Stadt Minden – Stadttheater/Pressestelle
21. Juni 2017
Minden. „Berlin, Berlin – wir kommen!“ Die Mindener Eigenproduktion “Blick nach vorn” geht diesmal gen Hauptstadt: Am Freitag, 2. Juni 2017, macht sich das Ensemble “Wunderbar” auf den Weg vom heimischen Stadttheater Minden in die Hauptstadt. An diesem Pfingstwochenende findet dort nicht nur der „Karneval der Kulturen“ statt, sondern auch das Theatertreffen der Jugend. Im Rahmen dieses bundesweit ausgeschriebenen Wettbewerbs wurden aus rund 110 Bewerbungen acht Siegergruppen ausgesucht, die zum Abschluss des Wettbewerbs zum einwöchigen Theatertreffen nach Berlin eingeladen wurden.
Das Theatertreffen der Jugend (TTJ) bietet den teilnehmenden Gruppen und Ensembles sowie dem interessierten (Fach-)Publikum ein Forum, die eigenen Produktionen einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren und in spannende Diskussionen und Workshops rund um das Thema “Theater” einzutauchen. Vertreten ist dabei das große Spektrum von Theatergruppen aus dem schulischen Kontext bis hin zu den Jugendclubs an Theatern. „Das Festival ist ein Seismograph für Themen, Haltungen und künstlerischer Formen junger Kunstschaffender in ganz Deutschland“, so Theaterleiterin Andrea Krauledat. Diese Stimmung sei während des gesamten Festivals spürbar gewesen. „Die Ensembles werden hier in Berlin sehr ernst und ihre Produktionen genauestens unter die Lupe genommen, strengste Kritiker sind dabei oft die Jugendlichen selbst“, so Krauledat weiter.
Eine neunköpfige Jury hatte im März 2017 die Mindener Produktion “Blick nach vorn” gesichtet. Urteil: “Eine Abenteuergeschichte par excellence […] Wir sind hautnah dran, wenn die Clowns staunen und lernen.” (aus dem Jury-Urteil von Illias Botseas und Bassam Ghazi)
Schon das Mindener Publikum war hingerissen von den zehn Clowns, deren Abenteuern und natürlich auch von Mandos Musik. Bereits dreimal konnten die Spieler*innen im vollen Haus Zuschauerinnen und Zuschauer begeistern – nur ein Mindener Phänomen? „Nein, auch das Berliner Publikum wurde im Sturm gewonnen und die Herzen der Festspielbesucher*innen erobert“, freut sich die Theaterleiterin.
Die Gruppe um Regisseur Canip Gündogdu, Theaterpädagogin Viola Schneider und Musiker Daniel Mandolini (Mando), begleitet von der Technik des Stadttheaters Minden und Theaterleiterin Andrea Krauledat, war acht Tage lang in Berlin um acht Inszenierungen, die deutschlandweit als die interessantesten Produktionen ausgesucht wurden zu sehen. Dazu kommen Workshops und Diskussionen – kurz: Theaterleben pur – aber auch eine große Herausforderung. Denn in den Workshops mit schillernden Titeln wie “Massaker im Theater” oder “Holy Chicks & Glory Dicks” sind die Jugendlichen auf sich allein gestellt. Hier geht es um verschiedene Ansätze des Theaterspielens und Inszenierens. Und auch darum, eigene Denkmuster zu erkennen und zu überprüfen, denn das Theater sei immer ein Spiegel des Zeitgeschehens.
Im Vor- und Nachmittagsbereich besuchen die Teilnehmenden Workshops, am späten Nachmittag findet die Nachbesprechung des Theaterstücks vom Vortag statt. Spielleiter und Jugendliche diskutieren dabei getrennt voneinander und auch die Jugendlichen werden noch einmal bunt durchgemischt in kleine Diskussionsgruppen eingeteilt. Um 20 Uhr heißt es dann: Bühne frei für eine der acht ausgewählten Produktionen. Und am Sonntagabend (4. Juni): “Blick nach vorn”, Stadttheater Minden.
Bereits um 8 Uhr morgens ist das Team des Stadttheaters vor Ort im Festspielhaus für die technische Einrichtung, damit auch hier in Berlin die Inszenierung im richtigen Licht glänzen und mit prallem Ton punkten kann. Kostüme müssen gebügelt, Requisiten auf die richtigen Plätze gebracht, bühnenbedingte Änderungen überlegt, der Soundcheck vollzogen und unzählige Dinge beachtet werden. „Das ist nicht nur für die Darstellenden aufregend, sondern auch für alle, die hinter der Bühne so fleißig zum Gelingen dieses Projektes beitragen“, berichtet Andrea Krauledat.
Die Zuschauenden vor der ausverkauften Festspielbühne wirkten sehr konzentriert, mit zunehmender Verdichtung der Geschichte folgten sie immer gebannter dem Spiel auf der Bühne. Einzelne Lacher. Immer öfter. Dann auch Tränen. Am Ende: Ein Durchatmen. Ein “Bravo”-Ruf. Stehende Ovationen fast augenblicklich mit dem Einsetzen des Applauses – das TTJ tobt, der Applaus donnert – ein unfassbar erhebender Moment für alle Beteiligten nicht nur aus Minden. Jury-Mitglied Antigone Akqün: „Das hat es auf dem TTJ noch nicht gegeben. Ich bin immer noch völlig fertig.”
Den ganzen Abend über durfte sich das “Blick nach vorn”-Team über unglaublich viel Lob und positive Kritik freuen: „Ich bin total verwirrt. Zwischen Bewunderung Trauer und Freude.“ „Ich hab geheult. Ich hab gelacht. Es ist unbegreiflich.“ „Und ich sitze auf meinem Platz, bin traurig, und frage mich ganz naiv, warum die Welt nicht immer so sein kann.“ – so die nach der Aufführung aufgefangenen Stimmen. Rudolf Nuss, zweimaliger Gewinner des Treffens junger Autoren und Preisträger des Open Mic 2016, schreibt in der Rezension für die Festivalzeitung „FZ“: „“Blick nach vorn“ verfolgt einen affirmativen Zugang. Durch Clownsarbeit verändert das Ensemble den Theaterrraum. Die Spieler*innen eignen sich Wort, Situationen und Ängste an durch einen Remix erlebter Realität nach eigenen Regeln.“ Und weiter: „Übersetzt in die Sprache der Clowns verliert auch eine düstere Szene, wie die der Vermessung von minderjährigen Geflüchteten, nie ihren Spielcharakter. In dieser Szene zeigt sich, wie wichtig die Bühne als Schutzraum ist, auf den sich die Spielenden verlassen können. Man spürt die Gewalt, die realen Personen angetan wird, doch ist diese Gewalt gleichsam auf einen unsichtbaren Raum hinter der Bühne verlegt. Das Stück verweist auf sie, aber es stellt sie nicht aus. Sie bleibt ungesagt, was aber nicht heißt, dass sie ausgespart oder weggeblendet würde. Nur macht das Theater der Minder*innen eben keine Vorschriften will nicht zu einer bestimmten Reaktion verleiten.“
In den Feedbackrunden am nächsten Tag wurde vor allem der Mut zur Geschichte gelobt – ein gegenläufiger Trend zu dem immer stärker vertretenem Genre der Kollage sowie auch, dass sich alle Darsteller*innen und auch Mando in den Dienst eben dieser Geschichte gestellt haben, so Krauledat. Fasziniert seien die Zuschauer*innen von der Authenzität und der ungebremsten Spielfreude auf der Bühne, interessiert an der “kleinsten Maske der Welt”, berührt von den persönlichen Statements und den Liedern sowie begeistert von der Deutungsvielfalt der Bilder, die Deutungsräume eröffnen, ohne diese vorzuschreiben oder zu bewerten. „Insgesamt ein unglaublicher Erfolg, der seine Fortsetzung finden wird“, resümiert die Mindener Theaterleiterin. Denn am 4. Oktober 2017 im Theater Bremen ist „Blick nach vorn“ beim Treffen von ausgewählten Jugend-Produktionen dabei. Und dann? Wer weiß… Wunder(bar) gibt es immer wieder. „Das Stadttheater Minden ist unglaublich stolz auf diesen riesengroßen Erfolg, der im Rahmen von ‚Das neue Wir‘ entstanden ist.“