Liebes Publikum, Kultur ist kein dekoratives Extra, sondern Kultur ist ein Grundgerüst der Demokratie. Gleichzeitig wird ein Theater, das sich nicht verändert, bald nicht mehr gebraucht. Denn wenn kulturelle Institutionen heute Relevanz behalten wollen, müssen sie ihre Türen öffnen – nicht nur fürs Publikum, sondern für Beteiligung. Für Mitsprache. Für Mitgestaltung. In Zeiten wachsender sozialer Spannungen, politischer Radikali- sierung und individueller Vereinzelung braucht es Orte, an denen Menschen sich selbst – und einander – begegnen können. Das Theater ist einer dieser Orte. Es ermöglicht Auseinandersetzung ohne Gewalt, Gestaltung einer Vision und das Erleben einer Gemeinschaft mit allen Herausforderungen, die Diversität mit sich bringt: Menschen unterschiedlichster Herkunft, Profession, Erfahrung und Perspektive arbeiten über Monate hinweg zusammen an einem künstlerischen Projekt. Was entsteht, ist weit mehr als ein Stück. Es ist ein Prozess, der Empathie, Disziplin, Humor, Verständnis, kritische Selbsteinschätzung und Konfliktfähigkeit zugleich fördert. Und der ganz nebenbei Fragen stellt, die uns alle betreffen: Wer gehört dazu? Wem gehört die Stadt? Wieviel Raum geben wir einander? Beteiligungsformate wie das 1. Mindener Stadtensemble wollen kulturelle Praxis nicht als Event, sondern als Einladung verstehen – an alle, die mitgestalten wollen, statt sich abgehängt zu fühlen. Dabei ist es alles andere als einfach, ein derart diverses Ensemble zu führen. Unterschiedliche Sprachen, Rhythmen, Temperamente und große Erwartungshaltungen treffen aufeinander – ebenso wie ganz reale Lebensumstände, Zeitbudgets, biografische Prägungen und kultu- relle Reibungsflächen. Diese Verschiedenheit auszuhalten, produktiv zu machen und in ein gemeinsames Ziel zu überführen, verlangt Geduld, starke Nerven, Klarheit und Vertrauen. Und es zeigt, wie relevant, wie notwendig und wie anspruchsvoll echte Teilhabe in kulturellen Prozessen ist. Diese Spielzeit eröffnet mit „Shakespeare am Kiosk“ mit einem Stück, das genau davon erzählt: von Reibung und Zuneigung, von Widerstand und Zusammenschluss, von einer Stadt, die streitet, liebt und sich nicht aufgibt. In der einer sich selbst und ihren Auftrag ernstnehmenden Kulturinstitution braucht es diesen offenen, aktiven Dialog mit der Stadtgesellschaft. Denn die besten Geschichten schreiben nicht ausschließlich die Dramatiker*innen – sie entstehen, wenn sich Biografien, Alltag und Kunst berühren. Wer heute Theater macht, das Bestand haben will, muss Beteiligung nicht „zulassen“, sondern zur Methode machen. Nicht verwalten – sondern gestalten. Nicht abbilden – sondern ermöglichen. Dieses Stück ist ein lebendiges Beispiel. Für eine Haltung, die Kultur neu denkt. Theater, das seine Türen aufmacht, verändert nicht nur sich selbst. Es verändert Menschen. Es verändert Städte. Mit besten Grüßen Andrea Krauledat und Viola Schneider
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