Mit dem dritten Teil von Wagners Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ eröffnete am vergangenen Freitag (8. September 2017) das kleine Stadttheater der ostwestfälischen Stadt Minden seine Saison. Was dieses Ereignis über die Region hinaus beachtenswert macht, ist die Tatsache, dass im provin-ziellen Schatten der Porta Westfalica Privatinitiative und überwiegend privates Geld aufgebracht werden können, ein Mammutprojekt zu stemmen, das nicht selten selbst große Opernhäuser an die Grenzen der Leistungsfähigkeit bringt, wo nicht überfordert.
Es ist eine Kooperation des Richard Wagner-Verbandes Minden, des Stadttheaters Minden und der Nordwestdeutschen Philharmonie, die das Wunder dieser Produktion ermöglicht, die im Sommer 2015 als gewaltiges Wagnis mit „Rheingold“ begann und sich 2016 mit der „Walküre“ fortsetzte. Minden rückte bundesweit in den medialen Fokus der Feuilletons und provozierte Jubel bei Presse wie Publikum. Auch der dritte Teil von Wagners Tetralogie in Minden provozierte respektvolles Staunen und Standing Ovations vieler Opernfreunde, Wagner-Kenner selbst versierter Bayreuthia-ner, die zum Teil von weither anreisten. Auch Eva Wagner-Pasquier ließ es sich nicht nehmen, diesem „Ausnahme-Siegfried“ beizuwohnen.
Das Konzept dieses „Rings“ ist so einfach wie sinnig: Ein dunkelroter Ring als Bühnenportal rahmt die Inszenierung. Die Spielfläche wird von zwei Wendeltreppen und Portallogen flankiert, die „bespielt“ werden. Die Musiker der Nordwestdeutschen Philharmonie spielen unter ihrem Diri-genten Frank Beermann auf der Haupt- und Hinterbühne, verschleiert von einem Gaze-Vorhang, auf den gelegentlich symbolische Videosequenzen von Matthias Lippert projiziert werden. Bühnen-bildner Frank Philipp Schlößmann hat aus der Not des Platzmangels eine Tugend gemacht und zeigt auf der Vorbühne, die über den Orchestergraben bis an die erste Publikumsreihe verlängert wird, einen „Ring“ zum Anfassen. Nur wenige Requisiten, ein Amboss und ein Opasessel im ersten Akt, Baumstämme im zweiten und eine runde, felsige Scheibe im dritten Akt markieren die Örtlichkeiten der „Siegfried“-Handlung. Der mit allen Wassern gewaschene Alt-Regisseur Gerd Heinz breitet das Stück vom kühnen Schwert-Schmied, furchtlosen Drachentöter, Mörder seines Ziehvaters Mime und Erlöser Brünnhildes, die den „jungen Wilden“ das Fürchten lehrt und zähmt, so anschaulich und „werktreu“ wie intelligent und gewitzt vor dem Zuschauer aus. Selten erlebt man den „Ring“ so hautnah und selbstverständlich. Dieser „Siegfried“ ist ein intimes Kammerspiel, in dem sich Nietz-sches und Wagners programmatische Forderung nach der „Geburt des Dramas aus dem Geist der Musik“ erfüllt, wie sie sich vielleicht nur in einem so kleinen Theater wie in Minden erfüllen lässt, ohne die meist erdrückende Dominanz des Orchesters.
Die szenische Distanzlosigkeit und das präzise und klanglich delikat aufspielende „unsichtbare“ Orchester im Hintergrund, das unter Frank Beermanns kluger und energischer Leitung Wagners Forderung nach sängerfreundlicher Begleitung jenseits von Wucht, Pathos und Phonstärke den Darstellern ermöglicht, ohne zu Schreien Wagners Ideal eines „deutschen Belcanto“ nahezu-kommen, frappiert. Die Nordwestdeutsche Philharmonie spielt fabelhaft. Man hängt den Sängern an den Lippen, denn man versteht jedes Wort und nimmt Satz für Satz Handlung und Psychologie des Stücks wahr, wie nur selten. Ein Glücksfall!
Nun hat man mit Sängern wie Thomas Mohr (der am schönsten und am unangstrengtesten singendste Siegfried-Tenor der Gegenwart), Dan Karlström (ein Traumsängerdarsteller von Mime), Renatus Mészár (Der Wanderer), Oliver Zwarg (Alberich), James Moellenhoff (Fafner), Dara Hobbs (Brünnhilde), Janina Baechle (Erda) und Julia Bauer (Waldvogel) ein exquisites, handverlesenes Ensemble engagiert, das in den ersten Opernhäusern Furore machen könnte. Dass man dieses Wunder im kleinen Minden ermöglichen kann, ist einer außerordentlich mutigen, engagierten und tatkräftigen Frau zu ver-danken, die es versteht, Sponsoren, Mäzene und Förderer zu motivieren, die nötigen Mittel bereitzustellen und Mitarbeiter um sich zu scharen, die das schier Unmögliche möglich machen. Jutta Hering Winkler hat die Gesamtleitung und Verantwortung dieses Mindener „Rings, der mit „Siegfried“ nun in die dritte Runde startetet. Sie ist die erste Vorsitzende, begnadete Kommuni-katorin und gewissermaßen „ die Seele“ des Richard Wagner Verbandes Minden.
Sieben Mal ist ihr „Siegfried“ im Mindener Stadttheater zu sehen und zu hören. Das Stück wird von zahlreichen Veranstaltungen begleitet. Der Publikumsansturm auf dieses Ausnahme- und Vorzeige-projekt erstklassigen, alternativen, auf Privatengagement basierenden Musiktheaters jenseits öffent-lich subventionierter Opernhausroutine ist enorm. Das Beispiel Minden sollte Schule machen!
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Beitrag auch in: Freie Presse